Onkel Theo erzählt von den Buchstaben

„So, liebe Kinder“, sagte Onkel Theo. „Heute wer­det ihr mal wieder was ler­nen.“ Die Kinder setzten sich auf Onkel Theos grü­nes Sofa und spitzten die Oh­ren. „Also“, sagte On­kel Theo. „Die Buchsta­ben.“ Und er kratz­te sich am Kopf.

„Bestimmt habt ihr alle schon einmal Buch­staben gese­hen. Das sind bekanntlich kleine Nu­deln, die es in ganz verschied­enen Formen gibt. Man kann sie hintereinander le­gen.

Zum Beispiel so:

AHNESPTTCEUL

NAHESTPTCUEL

PASTETEHCNUL

PASTETELUNCH

PASTETUNCHEL

PASCHETETUNL

APSCHEETTUNL

ASCHPENETTUL

Wenn man Glück hat, kommt dabei ein Wort heraus, zum Beispiel so:

ASCHENPUTTEL

Die Suppe, in der diese Nudeln schwimmen, nennt man Buchstaben­suppe.

Das ist eine ganz besondere Suppe, denn in jedem Teller Buchstabensuppe ist eine tolle Geschichte versteckt. Erst sieht es aus wie ein Rie­sendurcheinander, so wie AHNE­SPTTCEUL. Doch wenn man lange genug mit dem Löffel in der Suppe herumrührt, kommt irgendwann die Ge­schichte zum Vorschein.

Leider haben die meisten Leute dazu keine Geduld. Sie essen die Suppe einfach auf, und so sind schon viele schö­ne Geschichten in den Bäuchen ungeduldiger Suppenesser ge­landet.

Deshalb beschlossen die Geschichtenerzähler eines Ta­ges, die Buchstaben abzumalen und die Geschichten auf­zuschreiben. Seitdem stehen die Buchstaben auch auf Blät­tern und in Büchern. Da geraten sie nicht so schnell durch­einander wie in der Suppe, und rüh­ren muss auch nie­mand mehr.

Aber ihr wisst ja jetzt Bescheid, und bestimmt seid ihr ge­duldig. Wenn es also das nächste Mal eine Buchsta­bensuppe zu Mittag gibt, dann esst sie nicht ein­fach auf, son­dern rührt so lange, bis ihr die Geschichte darin fin­det!

Um die Geschichte zu finden, muss man natürlich wis­sen, was die Buchstaben bedeuten. Das ist gar nicht so ein­fach, denn es gibt 26 verschiedene Buchsta­ben. Wer sich die alle merken kann, ist ganz schön schlau.

Aber wisst ihr auch, warum es 26 Buchstaben sind?“

Die Kinder schüttelten den Kopf.

„Früher waren es weniger“, sagte Onkel Theo. „Als ich so alt war wie ihr, hatte das Alphabet nur 23 Buchstaben. Die vollkommen überflüssigen Buchstaben X, Y und Z gab es damals noch nicht.

Die hat erst vor wenigen Jahren eine junge Lehrerin aus Nürnberg erfunden. Ihre Schulklasse war nämlich so flei­ßig und so schnell mit dem Lernen fertig, dass die Kinder schon vier Wochen vor Ende des Schuljahrs alle 23 Buch­staben konnten. Die arme Lehrerin wusste nicht, wie sie die Zeit rumkriegen sollte bis zu den Sommerferien, und da erfand sie einfach das X, das Y und das Z dazu.

Die kleine Schummelei fiel zum Glück nicht weiter auf. Aber seitdem hängen hinten am Alphabet diese drei Buch­staben, die auch heute noch ziemlich selten vorkom­men und die eigentlich niemand braucht.“

„So ein Quatsch!“, riefen die Kinder.

„Was?“, fragte On­kel Theo. „Quatsch nennt ihr das? Und euch soll ich noch mal was erzäh­len?“

Doch weil die Kinder sehr dar­um baten, sagte Onkel Theo: „Also gut. Viel­leicht ein an­deres Mal. Aber für heute ist Schluss.“

Aus:

Ein Esel ist ein Zebra ohne Streifen
Onkel Theo erzählt 44 fast wahre Geschichten
Mit Bildern von Maria Lechner
Verlag Razamba