Eine lahme Schlittenfahrt

In einer Hütte hoch oben auf einem Berg wohnten ein dicker und ein dünner Mann, die waren selten einer Meinung. Sie stritten sich gern, sie versöhnten sich wieder, gute Freunde blieben sie immer.
In einem Winter schneite es drei Tage lang, und dann bedeckte Schnee den ganzen Berg bis tief hinab ins Tal.
„Lass uns hinausgehen!“, rief der dünne Mann. „Überall liegt herrlicher Schnee!“
„Es ist nass und kalt“, murrte der dicke Mann. „Da geht man nicht vor die Tür.“
Dem dünnen Mann fiel ein, dass sich irgendwo in der Hütte ein Schlitten befand.
„Lass uns Schlitten fahren“, schlug er vor.
„Das haben wir noch nie gemacht“, sagte der dicke Mann. „Wir wissen gar nicht, wie das geht!“
Doch der dünne Mann suchte und fand den Schlitten. Die beiden Männer zogen sich warm an und gingen hinaus vor die Tür.
„Und jetzt?“, fragte der dicke Mann.
„Erst muss man den Schlitten ziehen“, sagte der dünne Mann und zog den Schlitten an einem Seil ein Stück den Berg hinunter. Doch das war unbequem, denn der Schlitten rutschte ihm ständig gegen die Beine.
„So wird das nichts!“, rief der dicke Mann und nahm dem dünnen Mann das Seil aus der Hand. „Man muss den Schlitten schieben!“ Aber auch das war leichter gesagt als getan, denn fast rutschte der Schlitten fort und sauste allein den Berg hinunter.
Es dauerte eine Weile, bis die beiden ins Tal gelangten, und einer schimpfte auf den anderen.
Unten angekommen versöhnten sie sich sofort.
Sie setzten sich hintereinander auf ihren Schlitten, vorne der dicke Mann, hinten der dünne Mann, und der dünne Mann rief: „Los geht’s!“
Der Schlitten bewegte sich nicht von der Stelle.
„Du musst dich leichter machen!“, sagte der dünne Mann zum dicken Mann, „Wir stecken im Schnee fest.“
„Im Gegenteil!“, sagte der dicke Mann. „Du musst dich schwerer machen. Man braucht ein ordentliches Gewicht für eine schnelle Fahrt!“
Der dicke Mann versuchte, sich leichter zu machen, der dünne Mann versuchte, sich schwerer zu machen, aber die Fahrt ging nicht voran.
„Du musst die Füße anheben!“, rief der dünne Mann. „Wenn die Füße vorne auf dem Boden stehen, wird der Schlitten abgebremst.“
„Was redest du denn da?“, sagte der dicke Mann. „Meine Füße sind doch in der Luft!“
Trotzdem hob er die Füße noch ein bisschen höher als zuvor. Aber die Fahrt ging immer noch nicht voran.
„Vielleicht sind es ja deine Füße, die den Schlitten bremsen“, sagte der dicke Mann.
„Unsinn!“, schimpfte der dünne Mann. Auch er hob die Füße noch ein Stück höher, aber der Schlitten wollte einfach nicht den Berg hinauffahren.
Bald schneite es in dicken Flocken. Die Männer froren. Jeder dachte, der andere sei schuld, und schimpfte in Gedanken vor sich hin.
Bestimmt bremst er den Schlitten ab!, dachte der dicke Mann, der vorne saß. Wenn er sich umdrehte, sah er nicht, was der dünne Mann hinter ihm mit seinen Füßen machte.
Und der dünne Mann, der hinten saß, dachte: Beim nächsten Mal setze ich mich nach vorn!
Als es dunkel wurde, waren die beiden Männer müde geworden.
Mühsam zogen sie den Schlitten wieder den Berg hinauf. Sie gingen zurück in ihre Hütte, sie verstauten den Schlitten in der kleinen Abstellkammer, sie setzten sich auf ein Sofa und schwiegen vor sich hin. Dann, bei einer schönen Tasse heißer Schokolade, versöhnten sie sich wieder.

© Martin Ebbertz. Alle Rechte vorbehalten.

www.ebbertz.de

Aus: Martin Ebbertz, Wie die Affen den Fußball erfanden
33 fast wahre Sportgeschichten
Mit Bildern von Catharina Westphal

Leseprobe aus dem Buch Wie die Affen den Fußball erfanden