Geschichten aus der geheimnisvollen Dachwohnung
Der Schriftsteller Martin Ebbertz
Von Rudolf Gier
Josef, ein verträumter Junge aus Österreich, will nicht mehr in die Schule gehen. Er will Büffeljäger werden, und dafür braucht man keine Schule. „Ich gehe nämlich zu den Indianern“, erklärt er seinen Eltern. Natürlich sind die Eltern gar nicht damit einverstanden. Josef tut es trotzdem. Eines Nachts schleicht er sich einfach davon. Wie ein Weltenbummler macht er sich auf den Weg und erlebt spannende Abenteuer.
Die Vorstellung, als kleiner Junge von Zuhause auszureißen, hat den Schriftsteller Martin Ebbertz offensichtlich fasziniert. Aber klugerweise ist er nicht ausgerissen, sondern hat später, als Erwachsener, ein Buch darüber geschrieben. Und so ist sein erster Kinderroman entstanden: Josef, der zu den Indianern will.
„Es gibt niemanden in meinen Geschichten, von dem ich sagen würde: Das bin ich“, sagt Martin Ebbertz. „Aber natürlich steckt in allen Figuren ein bißchen von mir.“ Mit seinem Romanhelden Josef teilt er gewiß die Sehnsucht, andere Städte, Länder und Menschen kennenzulernen.
Groß geworden ist Martin Ebbertz, der 1962 in Aachen geboren wurde, in Prüm in der Eifel. Gleich nach der Schulzeit zog es ihn woanders hin. Er studierte zuerst in Freiburg, später in Münster. Die nächste Station war Frankreich, wo er für ein Schuljahr als Lehrer arbeitete. Zurück in Deutschland ließ er sich mit seiner Frau für eine Weile in Frankfurt am Main nieder. Hier bekamen die beiden zwei Kinder, Matthias und Antonia.
Vor gut zwei Jahren unternahm die ganze Familie Ebbertz einen großen Umzug. Diesmal hieß die neue Heimat Thessaloniki, das ist eine Stadt in Griechenland. Hier wird Martin Ebbertz wohl noch ein paar Jahre bleiben, aber dann werden er und seine Familie sich bestimmt etwas neues suchen.
Der Lehrerjob in Frankreich war übrigens Martin Ebbertz‘ erste und letzte Anstellung. Seitdem widmet er sich ganz der Schriftstellerei. Fast jeden Tag sitzt er an seinem Schreibtisch, denkt sich Geschichten aus und tippt sie in seinen Computer. Oder er schlendert durch die Straßen Thessalonikis und macht sich Gedanken über die Welt und die Menschen, die ihm begegnen.
Bislang veröffentlichte Martin Ebbertz zwei Kinderbücher und zahlreiche Fortsetzungsgeschichten fürs Radio. Außerdem viele Kurzgeschichten – einige davon kennt ihr aus dem Zack.
Martin Ebbertz schreibt auch für Erwachsene. Bereits vor zehn Jahren erschien in Münster ein Band mit Sportgeschichten. Der schönste Platz von Teneriffa heißt die Sammlung – und der schönste Platz von Teneriffa ist in diesem Buch ein Tennisplatz.
Martin Ebbertz‘ Geschichten für Erwachsene sind nicht weniger phantasievoll als die Kindergeschichten. Meist enthalten sie jede Menge hintersinnigen Humor. Eine seiner schönsten Geschichten handelt von einem komischen Völkerkundler, der davon überzeugt ist, Menschen aus anderen Kulturen immer sofort richtig beurteilen zu können. Das wird ihm zum Verhängnis. Er trifft nämlich auf Kannibalen, und obwohl er sich fleißig Notizen über sie macht, merkt er gar nicht, mit wem er es zu tun hat, und schließlich landet er mit seiner selbstgefälligen Klugheit im Kochtopf.
Oft handeln die Geschichten jedoch von ganz normalen Leuten, die dann aber etwas Ungewöhnliches unternehmen. Das Hörspiel Wandertag mit Häberle erzählt von einem Ehepaar, dessen geplante Wanderung wegen starken Regens in den eigenen vier Wänden stattfindet. Ausgerüstet mit Wandermontur und Proviant durchquert das Ehepaar Wohnzimmer, Küche und Bad und besteigt schließlich auf abenteuerliche Weise den Dachboden.
Was ist das nur für ein Mann, der sich solche Geschichten ausdenkt? Ein bißchen kann ich über ihn erzählen, denn während seiner Zeit in Münster habe ich ihn persönlich kennengelernt. Damals war er noch Student. Der nicht besonders große Mann mit dem verschmitzten Blick erweckte sogleich meine Aufmerksamkeit.
Auf Äußerlichkeiten wie feine Klamotten, eine besondere Frisur und sonstigen Schnickschnack, der damals in Mode war, schien er keinen großen Wert zu legen. Er war schlicht gekleidet und wirkte auf den ersten Blick fast unscheinbar. Erst wenn man mit ihm sprach, spürte man, daß er ein sehr nachdenklicher Mensch war, freilich einer mit einem äußerst spitzbübischen Humor.
In seinen Geschichten kommen oft Menschen vor, die er selbst so beschreibt: „Es sind Menschen, die eine Idee haben, die außer ihnen niemand richtig versteht. Sie haben sich etwas in den Kopf gesetzt, und sie lassen sich nicht davon abbringen, und wenn es noch so merkwürdig ist.“
In gewisser Hinsicht paßt diese Beschreibung auch auf Martin Ebbertz selbst, und vielleicht waren es seine teilweise verqueren Vorstellungen, die dazu führten, daß wir uns so gut verstanden haben und Freunde geworden sind.
Nie werde ich Martin Ebbertz‘ damalige Wohnung vergessen. Er lebte in einer richtigen Dichterstube, in einer geheimnisvollen Dachwohnung mit Kohleofen. Im Winter, wenn ihm mal die Kohlen ausgegangen waren, herrschte eisige Kälte, man mußte den Mantel anbehalten. Und überall lagen Bücher herum. Kistenweise standen da die Bücher.
Als Student verdiente sich Martin Ebbertz Geld hinzu, indem er alte Bücher auf Flohmärkten billig einkaufte und teuer verkaufte. Allerdings nur mäßig erfolgreich, weil er die Bücher liebte und sich nur schwer von ihnen trennen konnte. Ich glaube, seine Vernarrtheit in Bücher ist Ausdruck seiner Begeisterung für Geschichten. Auch wenn heute in Film und Fernsehen jede Menge Geschichten laufen – ein richtiger Dichter zieht doch immer noch das Buch vor.
Ich habe Martin Ebbertz in Griechenland besucht – die Wohnung, in der er heute lebt, sieht relativ normal aus, und eine richtige Heizung gibt es auch. Aber als ich dann sein unaufgeräumtes Arbeitszimmer mit den vielen Büchern betrat, da fühlte ich mich wieder an früher erinnert: an die alte geheimnisvolle Dachwohnung, in der die merkwürdigsten Geschichten entstehen.
Text aus: ZACK, Letzebuerger Kannerzeitung, Nr. 9 (15. Januar 1998)